Bei jeder Krise und jedem Abschwung wird darauf verwiesen, insbesondere auch, dass sobald Kleinanleger mit einsteigen, der Zeitpunkt schon zu spät ist, und diese dann ihr Vermögen verlieren. Meist jedoch ohne Beleg. Viele Experten der Finanzwissenschaften verweisen auf diese Episode und etliche Laien führen diese historische „Wahrheit“ als Beweis an. Wie bei allen Themen des Finanzmarktes lohnt hier ein genauer, ein wissenschaftlicher Blick. Die Historikerin Anne Goldgar¹ griff die bekannten Mythen in Ihrer Forschung auf und suchte nach Belegen für das gängige Narrativ. Im Folgenden führen wir die verbreitete, bisher unbelegte, Überzeugung auf.
Die Tulpenzwiebel als Objekt des Interesses besitzt keine große wirtschaftliche Bedeutung, auch die Bedeutung der Blumenzucht oder des Blumenhandels entsteht erst wesentlich später. Durch die Investitionen und Gewinne reicher Händler und Handwerker, griff die Gier in den Niederlanden um sich und alle Bevölkerungsschichten versuchten durch Tulpenspekulationen Gewinne zu erzielen. Auch diejenigen, deren Vermögen eigentlich nur zum Überleben genügte. Dadurch stiegen die Preise in absurde Dimensionen, häufig wird davon gesprochen, dass die Tulpen zum Gegenwert ganzer Häuser gehandelt wurden. Es kam, wie es kommen musste, die Spekulationsblase platzte, reiche Spekulanten und arme Bürger verloren gleichermaßen ihre Existenzgrundlage, die Volkswirtschaft brach zusammen und aus den Kanälen von Amsterdam wurden zahllose Verzweifelte geborgen. Die Lehre aus der Geschichte ist, dass der Kapitalismus nicht dauerhaft funktioniert, einfache Bürger sich von Finanzmärkten fern halten sollten und auf jeden Fall nach Zeiten raschen Wachstums Kurse ins bodenlose fallen und alle in den Abgrund reißen.
Es stellt sich wie bei vielen Mythen und Verschwörungstheorien dar. Es gibt einen wertneutralen, wahren Kern. Dieser wird jedoch durch die eigene Weltanschauung beeinflusst und darauf baut sich ein Konstrukt mit Unwahrheiten oder Missverständnissen. So auch hier. Es gab den Handel mit Tulpenzwiebeln. Aber dieser verlief relativ ruhig und gesittet. Der Wert der Tulpen, als neues und exotisches Luxusprodukt, vermag uns nicht nachvollziehbar, die damalige Wirklichkeit war aber eine andere als heute. Inwieweit unsere Luxusprodukte im Rückblick als angemessen bepreist erscheinen, bleibt abzuwarten. Die gängigen Erzählungen vom Gegenwert der Tulpen halten der Forschung durch Anne Goldgar nicht stand. Die oben aufgeführten Preise scheinen Einzelfälle zu sein. Der oft zitierte Preis von 5.000 Gulden² ist wohl eine Ausnahme. Insgesamt kann Goldgar 37 Personen nachweisen, die jemals mehr als 300 Gulden für eine Tulpe bezahlt haben. Häufig waren Tulpen nur ein Sammelobjekt unter vielen, hier sei auf die niederländischen Maler verwiesen. Der teilnehmende Personenkreis lässt sich auch auf die vermögenden Händler und Handwerker beschränken, von einem Massenphänomen kann also keine Rede sein. Diejenigen die mitmachten, konnten sich also diese Preise leisten. Die Handelstätigkeit an sich, die immer wieder als Beleg für aus dem Ruder laufende Marktwirtschaft angeführt wird, kann hier nicht belegt werden. Vielmehr sind eher kurze Handelsketten belegbar. Es fand also keine Preisspekulation im größeren Umfang statt, vielmehr wurden teure Tulpen erworben um sie zu besitzen.
Geld verloren aber die wenigsten, zu diesem Zeitpunkt waren die Tulpen noch nicht geerntet und die Geschäfte konnten meistens rückgängig gemacht werden. Schwierigkeiten bekamen diejenigen, die die erwarteten Verkaufseinnahmen bereits anderweitig verwendet hatten. Goldgar findet keinen einzigen Hinweis auf Bankrott durch Tulpenspekulation. Und auch die niederländische Wirtschaft wurde davon nicht beeinträchtigt.
Warum entstand also dieser Mythos? Hier kamen wohl einige Dinge zusammen. Besonders die aufkommende Kunstform der Satire beschäftigte sich mit diesem Thema. Wohl auch beeinflusst durch marktkritische Positionen von außenstehenden. Die spätere Beschäftigung mit diesem Thema baute auf eben diesen satirischen Liedern auf und nicht auf seriösen Quellen. Über die Jahrhunderte setzte sich dieser Fehler fort und Überzeugungen manifestierten sich. Es lässt sich häufig feststellen, dass Fakten nur dann kritisch hinterfragt werden, wenn sie dem eigenen Narrativ widersprechen. Und häufig passte diese Erzählung zum Weltbild. Heißt das, dass wir diese Episode der Geschichte also vergessen, oder besser noch, ignorieren sollten? Das wäre unpassend, bietet sie doch genug Lehren für uns.
Eine langfristige Investition oder Kapitalanlage ermöglicht die Reduzierung eines Risikos durch Zeit. Durch Diversifikation, also der breiten Streuung, kann das Risiko zusätzlich reduziert werden. Dies taten im Übrigen auch die Tulpenspekulanten schon. Sie kauften sich Anteile verschiedener Tulpenzwiebeln und hatten somit einen Tulpenfonds.
Das gleiche bietet sich am Kapitalmarkt an. Nun sollte noch die Anlageklasse diversifiziert werden. Es sollen also nicht nur unterschiedliche Tulpenzwiebeln im Portfolio landen, sondern auch andere Investments. Eine Orientierung an den Dingen des täglichen Bedarfs bietet hier schon einen großen Mehrwert. Zuletzt sollte man seinen eigenen Investitionszielen treu bleiben und sich nicht durch Gier, aber auch nicht durch Angst, leiten lassen. Hier bietet es sich an, einem Partner zu vertrauen, der die Störgeräusche ausblendet, sich auf das Wesentliche fokussiert und mit belastbaren wissenschaftlichen Methoden Sie bei der Erreichung Ihrer Ziele unterstützt. Auch wenn die Wissenschaft manchmal dem Mainstream widerspricht. Wie beim Märchen von der Tulpenmanie.
¹ Goldgar, Anne: Tulipmania. Money, Honor and Knowledge in the Dutch Golden Age, 2007 Chicago
² Der etwaige Gegenwert einer Villa zur damaligen Zeit.